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Als Frau im Gesundheitswesen: Das Schichtmodell und Co.

Aktualisiert: 5. Nov. 2024

Was wäre das Gesundheitswesen ohne Frauen?

Habt ihr euch schon mal gefragt, wie viele Frauen in diesem Bereich arbeiten?

Bild 1: Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen, wix.com-Bildgalerie.

Aus dem Gutachten 2024 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege – Fachkräfte im Gesundheitswesen Nachaltiger Einsatz einer knappen Ressource – ich weiß, ewiger Titel - des Bundestags geht zum Beispiel hervor, dass es einen leichten Anstieg von Männern im Bereich der Pflegefachkräfte gibt, insgesamt arbeiten dort allerdings „… deutlich mehr Frauen als Männer. Bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Jahr 2022 waren 74% aller Auszubildenden als weiblich registriert“. Gemäß dem Gutachten waren ebenso rund 82% in den Bereichen Krankenhäuser, Alten-, Pflege- und Behindertenwohnheime im Jahr 2022 Frauen. Natürlich gibt es jedes Jahr neue Abweichungen, doch im Großen und Ganzen – und vor allem in den genannten Bereichen– sind und werden dem Trend nach Frauen noch eine ganze Weile lang den Hauptanteil stemmen.


„Im Jahr 2014 machten Frauen in den Aufsichtsräten der 160 größten Unternehmen lediglich 17 Prozent aus. Besonders auffällig ist das im Gesundheitswesen, denn jede dritte Frau im Dienstleistungssektor arbeitet in diesem Bereich.“


Will heißen: Wenn jede dritte Frau dort arbeitet, wieso gibt es dann auch in dieser Branche nur 17% Frauenanteil in Führungspositionen?


Wieso haben es Frauen im Gesundheitswesen schwerer als Männer mit den Aufstiegschancen? Elena Hoti stellt unter anderen ein Hindernis vor und nennt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist auch eines der Hindernisse, die ich mit Sophie besprechen durfte:

Bild 2: Sophie auf dem Weg zur Arbeit. Im Gepäck das Erklärungsmaterial. WhatsApp, 28.10.24

Sophie hat primär in Stuttgart gearbeitet und dann auf Landwachen (ländliches Gebiet) im Rettungsdienst. Nun ist sie im ländlichen Raum in einer Hausarztpraxis und macht dort ihren Physician Assistant.

Ihre Erfahrungen und Meinung zum Thema sollen helfen, diesen Beitrag authentisch und vor allem realistisch zu formulieren. Sprechen wir doch mal über die ganzen Wunschvorstellungen im Schichtdienst und wie realistisch die Umsetzung am Ende wirklich ist.



Die zentrale Situation betrifft alle Frauen, wie das BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) schon 2010 (!) in seiner Publikation Beruflicher Wiedereinstieg nach der Familiengründung festhält:

 

„Für Frauen gilt heute immer noch, dass Kinder und Karriere sich eher ausschließen als vereinbaren lassen – aber nicht aufgrund eigener subjektiver Ambivalenzen, sondern aufgrund struktureller äußerer Widerstände.“


Übertragen auf das Gesundheitswesen, mit einem, wie oben schon beschriebenen, sehr hohen Anteil an Frauen: Wie ist das so als Frau in dieser Branche? Wirkt sich der Mehr-Anteil an Frauen auch positiver auf die beruflichen Bedingungen aus? Verhindert oder erschwert das Schichtmodell Fachkräften, wie z.B. Frau mit Kind, den Wiedereinstieg? Und wenn ja, wie kann diese Gruppe wieder besser und schneller in den Beruf einsteigen? 

 

Ich präsentiere euch also heute: Eine Diskussion um das Schichtmodell.


Gleich zu Beginn der Recherche bin ich auf ein Video gestoßen, dass ich euch und Sophie nicht vorenthalten konnte:


Wiemann, Kathrin, veröffentlicht am 08.08.2023: Schichtarbeit gesund gestalten. Youtube, ifb, https://www.youtube.com/watch?v=1kgEEP1clBI&t=23s, zuletzt abgerufen am 01.11.2024.


Darin klärt Kathrin Wiemann, Mitarbeiterin des ifb (Institut zur Fortbildung von Betriebsräten GmbH & Co. KG), über Strategien für mehr gesunde Gestaltung in der Schichtarbeit auf. Schichtarbeit gesund gestalten hört sich doch super an. Doch einiges klang etwas holprig. Auch Sophie hatte dazu ihre Meinung:


„Nach meiner Meinung ist es im medizinischen Bereich nicht möglich, dass man auf Nachtschichten verzichtet. Das Vorwärtsrotieren (also von Tag auf Nacht und nicht umgekehrt) fand ich persönlich auch angenehmer. Auch was sie anspricht an Erkrankungen und Fehlzeiten kann ich aus meiner Sicht so unterstreichen. Ich selbst merke nun, dass ich weniger Fehlzeiten in der Hausarztpraxis habe bzw. auch weniger krank bin. Normalerweise hätte ich in dieser Jahreszeit schon längst eine Erkältung gehabt und bin bis jetzt verschont geblieben. Aber auch meine chronischen Erkrankungen wurden jetzt durch das Weglassen der Schichtarbeit besser.“ - (Sophie, Kommentar via WhatsApp, 09.10.2024)


Nun richtet sich das Video ganz allgemein an die Schichtarbeit, vor allem für Betriebsräte. Für das Gesundheitswesen betont das ifb auf seiner Webseite jedoch Unterschiede und hat hierzu auch eine eigene Sparte Arbeitsrecht — speziell für Betriebsräte im Gesundheitsbereich. Vor allem wirbt das ifb mit dem Satz: „Ob Schicht- und Nachtdienst oder Eingruppierung: Das Arbeitsrecht im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen weist viele Besonderheiten auf.“  Auffällig bleibt, dass hier Krankenhaus und Pflegedienst angesprochen werden. Der Rettungsdienst und seine Besonderheiten werden kaum erwähnt. Auch bei meiner Recherche habe ich nicht sofort Klarheit bekommen können, wer hier Zuständig ist und was alles zum Schichtdienst im Rettungswesen dazugehört. Ganz salopp formuliert:  


Der Rettungsdienst kommt nicht vom Krankenhaus. Aber woher kommt er denn?


Im Gegensatz zum Krankenhaus ist der Rettungsdienst oft durch Stiftungen am Leben; oder sogar ins Leben gerufen worden. Das zeigen zum Beispiel Projekte zum Krankentransport der Björn-Steiger-Stiftung, die ihren Namen vom Sohn, der Gründer hat und in frühen Jahren verstarb, weil es noch keine ausreichende Infrastruktur im Rettungswesen gab. Heute kümmert sich die Stiftung z.B. um Helikopter oder den Kinderkrankenwagen Felix. Für den Rettungsdienst sind aber auch vor allem Johanniter-Unfallhilfe, Malteser Hilfsdienst oder Arbeiter-Samariter-Bund unterwegs. Das erschwert einen einheitlichen Betriebsrat zu haben. Wer regelt denn die Schichtarbeit im Rettungsdienst? Jeder Anbieter für sich. Wenn es denn geregelt werden kann; denn einige Anbieter sind, wie oben im Namen schon sichtbar, kirchlich. Wie geht das jetzt also mit der Schichtarbeit im Rettungsdienst?


Beginnen wir ganz allgemein: Was ist mit Schichtarbeit im Gesundheitswesen gemeint und was bedeutet es für die Mitarbeiter? Wo sind die Herausforderungen, wo sind Verbesserungen nötig oder sogar schon in Arbeit?


Zurzeit steht Deutschlands wohl berühmteste Ärztin wieder auf Vox vor der Kamera: Doc Caro oder auch Dr. med. Carola Holzner. Aktuell ist ihr 4. Buch Ab unter die Gürtellinie erschienen. Keck und lebensnah erzählt sie aus ihrem Alltag und klärt über manche Krankheit und auch das Gesundheitswesen auf. Im Buch Eine für Alle: Als Notärztin zwischen Hoffnung und Wirklichkeit stellt sie ein Kapitel mit dem Titel: Warum ich den Arztberuf an den Nagel hängen wollte* vor. Darin erzählt sie von einem nächtlichen Notfall, den sie als Assistenzärztin betreuen musste. Sie schreibt, wie müde sie ist von ihrem langen Dienst, 16 Stunden bis zum Ereignis im Kapitel und noch kein Schicht-Ende. Sie schildert den Einfluss des Personalmangels auf ihre Arbeit bzw. Ausbildungslage. Die Verantwortung und den Druck. Nun ist Frau Dr. Holzner schon lange nicht mehr Assistenzärztin, wie in diesem Kapitel, doch das Thema Personalmangel, ewige Schichten, Müdigkeit; alles noch aktuell. Vor allem die Corona-Pandemie leistete durch außerordentliche Belastung in dieser Branche einen großen bislang nicht öffentlich ausreichend aufgearbeiteten Einfluss. Dennoch ist zum Beispiel eine Kündigungswelle im Gesundheitswesen nach der Corona-Pandemie nicht deutlich aufgetreten, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Anfang 2024 veröffentlichen konnte. Es stellte fest, dass viele Faktoren, die schon vor der Pandemie zu Kündigungen führten, heute noch gegeben sind. Vor allem Pflegeeinrichtungen haben Schwierigkeiten Personal zu halten. So sagt Max Kunaschk, IAB-Forscher, dass dieser Umstand „… auf die großen Probleme hin[weißt], die Pflegeeinrichtungen grundsätzlich damit haben, ihre Mitarbeitenden zu halten“. Im weiteren Beitrag können wir die Corona-Pandemie also zunächst einmal vernachlässigen; wenn auch nicht vergessen. Herausforderungen, welche die Schichtarbeit betreffen, beschreibt die Studie vor allem im schon bestehenden Personalmangel. Dieser führe zu „…häufigere[r] Nacht- und Schichtarbeit sowie [der] Notwendigkeit, kurzfristig bei Arbeitsausfällen einspringen zu müssen.“**


Bild 3: Ausschnitt aus Videobeitrag der Tagesschau unter: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1388406.html, zuletzt abgerufen am 02.11.24. Im Bild zu sehen der Eingangsbereich der Medizinischen Universität Lausitz, Cottbus.

Die Uni-Klinik Cottbus beschloss etwas dagegen zu unternehmen und stach im Oktober dieses Jahres bei der Tagesschau mit seinen Unternehmungen gegen die Mitarbeiterunzufriedenheit und die vielen Personalausfälle heraus. Insgesamt acht Abteilungen durchliefen ein Coaching unter Einbezug von Teamleitung und Team. Die Mitarbeiter wurden konkret in den Prozess miteinbezogen. Andrea Stewig-Nitschke, Pflegevorstand Medizinische Universität Lausitz, eine der wenigen weiblichen Führungskräfte im Gesundheitswesen, hat dazu eine ganz bestimmte Meinung:



Damit verfolgt die Vorständin den Richtsatz: Wer sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt, wird weniger krank. Auch Sophie wünscht sich mehr Teilhabe:


„Eine Mitbestimmung oder Wunschdienstpläne kenne ich von Freunden. Im Rettungsdienst war dies jedoch nicht. Ich hätte mir einen Wunschdienstplan manchmal gewünscht und könnte mir das für Frauen mit Familie auch gut vorstellen. Denn so könnte man sich mit dem Partner absprechen und wäre flexibler, denn die Flexibilität rückt immer mehr in den Vordergrund nach meiner Meinung.“ – (Sophie, via WhatsApp, 09.10.2024)


Dennoch ist ein Personalmangel nicht mit mehr Zufriedenheit auszugleichen. Gleichzeitig, kann der Arbeitsplatz an sich jedoch wieder attraktiver werden und Fachkräfte anziehen. Wie Sophie erwähnt ist ein großes Thema auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Schichtarbeit erschwert das. Personalmangel bzw. -ausfälle erschweren einen geregelten Schichtplan, gleichzeitig ein geregeltes Privatleben. Oder wie Frau Dr. Holzner es beschreibt: „Privatleben habe ich sowieso keins, und die Miete könnte ich mir auch sparen, weil ich ja so gut wie im Krankenhaus wohne.“**** Das mag vielleicht auch eine eher persönliche Angelegenheit sein, doch offiziell ist, dass viele Mitarbeiter in ihrer Freizeit wesentlich mehr Dienste schieben, als eigentlich vorgesehen. Obendrein wird das ganze von einem Tarifvertrag, der gesetzlich gedeckelt ist, begleitetet und so die geleisteten Überstunden nicht gerecht entlohnen kann, wie nachfolgend noch dargestellt wird.  

Für weniger Fachkräftemangel und mehr Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sieht Sophie folgende Ansätze als nutzbringend:

 

„Ich könnte mir vorstellen, dass es helfen würde, wenn man Frauen mit Kind entweder einen Wunschdienstplan zukommen lässt. Oder auch Hausfrauenschichten anbietet. Damit meine ich Schichten, die kürzer sind und auch die Zeiten einer KiTa berücksichtigen.“

- (Sophie, via WhatsApp, 10.10.2024)

 

Aus eigener Erfahrung kann dieser spezielle Umgang mit Eltern am Arbeitsplatz auch als Benachteiligung von kinderlosen MitarbeiterInnen wahrgenommen werden. Daher ist, was Sophie anspricht, nicht irrelevant, kann aber in naher Zukunft schon wieder zu Unmut im Kollegium führen. Wenn vor allem Eltern in Schichtplänen Berücksichtigung finden, ist eine gerechte oder faire Planung nicht möglich. Zusätzlich, auf die Frage, inwiefern ein Arbeitgeber auf die KiTa Zeiten eingehen sollte, bei einer heute schlechten Betreuungssituation generell, möchte ich besser nicht ausführlicher eingehen. Das sprengt den Rahmen. Doch schauen wir einmal auf unsere Region dem Rhein-Neckar-Kreis.

 

Was bieten unsere Krankenhäuser und Kliniken zurzeit an?

 

Das Gesundheitszentrum Rhein-Neckar wirbt mit einem 12-Stunden Schichtsystem und hat sich einen Springer-Pool aufgebaut. So berichtet ausgerechnet eine Frau als Stimme zum Schichtmodell: „Das 12 Stunden Schichtsystem ermöglicht mir mehr Freizeit und eine super Work-Life-Balance.“

Bild 4: Meinung von Lisa S., Pflegeassistentin, Stellenangebot des GRN, https://karriere.grn.de/beruf-karriere/pflege-funktionsdienst, zuletzt abgerufen am 02.11.2024.

In den Stellenausschreibungen schlägt sich dieser Ansatz konkret so nieder:

„Flexibles Arbeitszeitkonto“ und „Mitarbeiterorientierte Dienstplangestaltung mit elektronischer Arbeitszeiterfassung“. Für einen Oberarzt heißt es „Elektronische Arbeitszeiterfassung und verlässliche Dienstplanung“ und statt der 30 Tage Urlaub sind es in dieser Berufsgruppe 31 Tage. Auch hier gibt es tarifliche Regelungen.

 

Das Universitätsklinikum Heidelberg beschäftigte sich schon 2002 sehr ausführlich mit dem Thema Schichtarbeit und seinen Auswirkungen. Auf seiner Webseite veröffentlicht die Klinik seinen Standpunkt: „Vor allem aber das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen und die nicht unerhebliche Steigerung des Unfallrisikos mit zunehmender Arbeitszeit erfordern eine enge Begrenzung der täglichen Arbeitszeit.“ Der Personalrat der Klinik kommt zu dem Schluss, dass „… die Diskussion zu überlangen Arbeitszeiten nicht alleine vor dem Hintergrund der Arbeitsbelastung geführt werden kann, sondern dass Arbeitszeit auch mit der Zeit für Erholung (einschließlich Schlaf) und der Zeit für gesellschaftliche Teilhabe in einer Wechselwirkung steht.“ Wie schlagen sich diese Erkenntnisse in den Stellenausschreibungen nieder?

 

Zum Beispiel fallen in der Ausschreibung für eine Pflegefachkraft diese Punkte auf:

-        Die Möglichkeit eigene Ideen einzubringen und zu verwirklichen

-        Ein dynamisches Führungsteam, das flache Hierarchien lebt

-        Entlastungstarifvertrag mit geregelten Besetzungsschlüsseln

-        Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Ferienbetreuung, Backup-Betreuung)

 

Damit geht die Stellenausschreibung des Universitätsklinikums Heidelberg direkt auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein und suggeriert auch ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Arbeitsalltags.


Ziehen wir nun ein Beispiel aus dem Rettungsdienst heran: Die Rettungswache Sinsheim wird vom DRK (Deutsches Rotes Kreuz) unterhalten. Das Schichtsystem dort ist ebenso mit einem 12-Stunden-System beschrieben. Mehr relevante Infos gibt es nicht. Auf meine Nachfrage bei Sophie zu Ihrem damaligen Arbeitsvertrag im Rettungswesen antwortet sie mir:


„Darin stand gar nichts. Also da wurde auch kein Stundenrhythmus beim Namen genannt.“ (Sophie, via WhatsApp, am 19.10.24)


Hinzu kommt, dass sich Werbung und Realität doch immer unterscheiden, denn Sophie erzählt weiter:


„Ich habe bereits in einem 12-Stunden Schicht System gearbeitet, aber auch schon in einem 8-Stunden System. Nach einem 12 Stunden Arbeitstag warst du oft fertig und das angehen von einfachen Dingen (Haushalt, Einkaufen, …) war nach so einem Tag häufig sehr schwerfällig. Nach mehreren Tagen Tag-Schicht war ich völlig platt und nicht mehr ausgeruht. Familie und Freunde kamen hierbei viel zu kurz. Nach einem 8 Stunden Tag war es für mich einfacher noch Dinge zu erledigen und auch mal Freunde und Familie zu besuchen.“ - (Sophie, via WhatsApp, am 19.10.24)


Diese Aussage widerlegt, die so schöne Werbung des GRN zum 12-Stunden-System. Es scheint allerdings auch eine individuelle Entscheidung zu sein. Grundsätzlich muss sich also jede Bewerberin gut darüber informieren und Gedanken machen, ob sie in einem 8-Stunden oder einem 12-Stunden-System besser zurechtkommt. Die teilweise ungenauen Angaben bei den Ausschreibungen sind auch ein wichtiger Hinweis darauf im Vorstellungsgespräch genauer nachzufragen und gegebenenfalls Impulse im eigenen Arbeitsvertrag zu setzten. Natürlich, Tarif-Verträge, aber es gibt immer irgendwo einen Spielraum. Es ist wichtig diesen individuell zu finden und zu klären und wenn möglich festschreiben zu lassen.


Schauen wir für eine umfangreiche Betrachtung nun noch auf die Beliebtheits-Scores in den Jobportalen Kununun, Indeed und Stepstone


Wie sehen die Rezensionen aus? Lassen sich hier eventuell Bewertungen und sogar Verbesserungsvorschläge für das Schichtsystem finden?

Das GRN Schwetzingen kommt aktuell auf einen Kununu-Score von 3,6 von 5 möglichen Sternen. Trotz mittelmäßigem Score geben Mitarbeiterbewertungen zu 62% eine Weiterempfehlung für die Arbeit im GRN ab. Diese Bewertung deckt sich mit der Annahme, dass das GRN einiges Bestreben zu Verbesserungen hat, allerdings nicht viel Spielraum in der aktuellen Situation, um ganz grundsätzlich etwas zu verändern. So schreibt ein User bei Kununu: „Es macht Spaß und vieles geht in die richtige Richtung trotz der schwierigen Situation im Gesundheitswesen.“ Dieser User vergab zudem 4,2 Punkte für den Standort Schwetzingen des GRN.

Im Jobportal Indeed sieht es auf den ersten Blick schon ganz anders aus. Die Gesamtwertung kommt zwar auf einen ähnlichen Score von 3,5 Sternen, doch die negativen Rezensionen sind gleich auf einen Blick sichtbar:

Bild 5: Arbeitsplatzbewertungen auf Indeed über das GRN und seine Standorte, online: https://de.indeed.com/cmp/Grn-Gesundheitszentren-Rhein-Neckar-Ggmbh/reviews, zuletzt abgerufen am 2.11.2024.

„Mangel an Mitarbeiter“, für GRN Standort Weinheim, 2,0 Sterne.

„Sehr stressig“, für GRN Standort Weinheim, 2,0 Sterne.

„Chaotische Strukturen“, für GRN Standort Schwetzingen, 3,0Sterne.


Insgesamt kommt der Standort Schwetzingen besser weg, als die anderen Standorte des GRN in der Region. Unterschiedliche Bewertungen der Standorte, aber auch die unterschiedlich positiven und negativen Kommentare können darauf zurückzuführen sein, inwiefern sich der jeweilige Standort oder das GRN allgemein auf den oben vorgestellten Plattformen selbst bewegt. Auf Stepstone gibt es z.B. eine sehr ausführliche Darstellung des Arbeitsplatzes des GRN Schwetzingen; insgesamt 4 kurze Videos und 14 Bilder mit typischen Situationen am Arbeitsplatz. Die Plattform Indeed scheint mit einer Bildeinspeisung und einer Zusammenfassung aller GRN Standorte nicht so, als würde sie vom Arbeitgeber GRN oder einem der jeweiligen Standorte selbst bespielt werden. Bei Kununu ist nicht einmal ein Logo hinterlegt, was den Verdacht verschärft, dass diese Plattform nicht selbst vom GRN bespielt oder eröffnet wurde. In der Folge sind Bewertungen, die über indeed oder kununu über das GRN eingesehen werden können unabhängiger, wohingegen die Bewertungen auf StepStone direkt vom Unternehmen wahrgenommen werden können. Darüber hinaus zeigt das Engagement des GRN Schwetzingen auf StepStone, dass die Personalentwicklung scheinbar wirklich bestrebt ist einen attraktiveren Arbeitsplatz zu gestalten. Natürlich darf es dabei in Zukunft nicht bei leeren „Awards“ von StepStone bleiben, wie es häufig als Aushängeschild von manchem Unternehmen verwendet wird. Bewertungen können auch gesteuert werden und das weiß heute jeder gute Personaler.


Nach dem ganzen Bewertungs-Wirrwarr möchte ich noch einmal auf die Tarifverträge eingehen. Sie begrenzen, wie oben schon einmal erwähnt unter anderem die Möglichkeiten ein Schichtsystem besser ausgestalten zu können.


Schauen wir noch einmal genauer auf die Tarifverträge, ihren Einfluss auf das Schichtsystem und was das für uns, und vor allem für Frauen in dieser Branche zu bedeuten hat.


Ähnlich wie im Rettungswesen die Zuständigkeiten variieren, so ist es auch mit den Tarif-Verträgen im Gesundheitswesen allgemein etwas unübersichtlich. Oder wie es das Statistische Bundesamt formuliert:

„Für Krankenhäuser sowie Vorsorge- und Rehabilitationskliniken schließen Bund und Gemeinden, Länder, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und private Unternehmen jeweils eigene Tarifverträge für ihre Häuser ab. In der ambulanten Versorgung gibt es hingegen nur wenige tarifliche Regelungen, wie den bundesweit gültigen Tarifvertrag für Medizinische Fachangestellte sowie einige Firmentarifverträge.“*****

Heißt im Klartext: Es ist schwierig ganzheitlich eine Lösung zu finden, wenn verschiedene und nicht wenige Akteure mitreden dürfen und auch sollten. Es führt wohl zu weit eine genaue Analyse der einzelnen Kommunikations-Ebenen in diesem Beitrag darzustellen, doch ist eindeutig, dass hier viele Handlungsstränge nebeneinander existieren, allein schon aufgrund der Tatsache, dass der Bund und Gemeinden usw. JEWEILS eigene Tarifverträge abschließen.

Das Statistische Bundesamt nennt insgesamt 4 verschiedene Tarifverträge: 


  1. TVöD BT-K (Tarifvertrag für Pflegepersonal in Krankenhäusern)

  2. TVöD BT-B (Tarifvertrag für Pflege- und Betreuungseinrichtungen bei Bund und Gemeinden)

  3. TV-Ärzte/VKA (Tarifvertrag der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände für Ärzte)

  4. Tarifvertrag für Medizinische Fachangestellte


Insgesamt stellt das Statistische Bundesamt einige Informationen zu den Tarifverträgen bereit, darunter auch Urlaubstage, Inflationsausgleich und die durchschnittliche Entwicklung der Tarifverträge:

Bild 6: Statistik, online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Tarifverdienste-Tarifbindung/TDB/_TDB/tarifinfo-gesundheitswesen.html, zuletzt abgerufen am 02.11.2024.

So ist in der Darstellung zu erkennen, dass die Verbraucherpreise – also die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten - deutlich schneller angestiegen sind, wie die Gehälter im Gesundheitswesen, im selben Zeitraum. Hinzu kommt der Vergleich zum Dienstleistungsbereich, welcher stärker steigt, wohingegen Gehälter im Gesundheitswesen fast linear bleiben und somit nicht dieselbe Kurve nehmen wie die Verbraucherpreise oder Gehälter im Dienstleistungsbereich. D.h. auch wenn Gehälter im Gesundheitswesen in der Darstellung noch näher am Verbraucherpreis liegen als Gehälter im Dienstleistungsbereich oder der Gesamtwirtschaft, so erleben sie nicht dieselbe Stärke im Anstieg wie die Kurve der Verbraucherpreise vorgibt. Das macht das Gehalt im Gesundheitswesen u.a. unattraktiv.


Wieso schreibe ich nun aber so ausführlich über Tarifverträge und online Jobbörsen-Bewertungen, wenn es doch ursprünglich um den Schichtdienst ging?


Es ist wichtig die Anforderungen des Berufs im Blick zu halten. Dazu gehört auch das Schichtsystem. Wird die Arbeit in einer von Natur aus belastenden Umgebung – denken wir mal an die Betreuung von Patienten, die vieles nicht mehr selbst können oder Schlimmeres – (siehe Erfahrungsberichte unten) regelmäßig ausgeübt, dazu begleitet von ungünstigen Schichtplänen, die statt entlasten, noch belasten; dazu noch ein nur durchschnittlich ansprechendes Gehalt… nun ja. Wer möchte seine eigene Gesundheit opfern, im Tausch für die Gesundheit anderer oder um am Ende selbst der Patient zu sein? Grundsätzlich sprechen zwei Instagram-Bekanntheiten aus dem Gesundheitswesen von Träumen und festen Überzeugungen, die sie in ihre Berufe gebracht haben:


„Ärztin zu werden und so Menschen zu helfen, war für Dr. med. Carola Holzner bereits ein Kindheitstraum.“, so heißt es in der Autorenbeschreibung ihres Profils des Fischer Verlags.


Auch Sophie hat eine solche tiefe Überzeugung: 


„Meine Eltern haben mich mit 11 Jahren ins Jugendrotkreuz geschickt und es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. So bin ich dann nach einem Praktikum zum Rettungsdienst gekommen. Ich hatte die Vorstellung, dass ich rein Leuten helfe die schwer erkrankt oder verletzt sind.“ - (Sophie, via WhatsApp, 02.11.2024)

 

Gleichzeitig kommt aber auch die Desillusionierung und die Grenzen des Berufs. Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter: Stellen wir uns eine Frau vor, vielleicht gerade Mutter geworden. Beschäftigt mit Haus und Familie; wie es eben jeder ist. Und dann stellen wir diese Frau vor die Wahl: Beruf mit körperlicher Belastung, Urlaubszeit, Tarifvertrag, nicht auszahlbare Überstunden, vielleicht-flexible Schichtpläne. Oder Schreibtisch-Job, sicher, Teilzeit, am besten noch beim Amt. Wodurch kann sich der Beruf im Gesundheitswesen hervortun? In dieser spitzen Übertreibung ist wohl klar, wie die Entscheidung ausfallen würde.


Luis Teichmann schreibt Selten wird mehr geboten, als gesetzlich vorgeschrieben ist. … hier muss ich … erwähnen, dass eine Vollzeitkraft im Rettungsdienst jährlich 280 Stunden unbezahlt auf der Arbeitsstätte ist. - (Luis Teichmann******)


Nun ist der Rettungsdienst wieder besonders zu Betrachten und unterscheidet „Wartezeit“ und „gefahrene Einsätze“. Das wird zwar im jeweiligen Vertrag vom Arbeitgeber vordefiniert niedergeschrieben, doch passt es nicht selten zu den realen Zeiten.

Zum Thema Vergütung schreibt Caro Holzner z.B. über den Dienst auf der Intensivstation:


„Tatsächlich haben wir eigentlich nur knapp neun Stunden Dienst, offiziell, danach sollen wir uns bereithalten. Und nur so bekommen wir das auch vergütet. Gehalt gibt’s nur für neun Stunden, wir sind aber de facto 24 Stunden auf stand by. Die restlichen 15 Stunden arbeiten wir für einen geringeren Lohn. Es gibt natürlich auch Ärzte und Ärztinnen, die auf Intensivstationen im Schichtsystem arbeiten, aber dann braucht man deutlich mehr Personal. Und das ist wie überall Mangelware.“


Doch nicht nur das Arbeitsmodell kann desillusionieren, auch einschneidende Erlebnisse, die dieser Beruf mit sich bringt. So schreibt Dr. med. Caro Holzner alias Doc Caro weiter:


„Viele von uns haben darunter zu leiden. Wir sehen furchtbare Dinge im Krankenhaus, in der Notaufnahme, im Rettungsdienst. Und jeder hat seine eigene Schmerzgrenze. Viele von uns Wachen nachts auf, vielleicht sogar schweißgebadet, ohne wieder einschlafen zu können.“7*


Sophie lächelt über die Motorhaube eines Rettungswagens. WhatsApp, 28.10.2024.

Sophie berichte über diesen Teil ihres Berufswegs so: 


„Meine Sicht auf Dinge hat sich somit geändert, dass mir viel bewusster wurde, dass das Leben nicht unendlich ist und jederzeit vorbei sein kann. … Jeder muss seine Strategie finden, um das erlebte zu verarbeiten. Mir hat es geholfen mit Kolleginnen zu sprechen oder einfach mit dem Fahrrad ins Nirgendwo zu fahren. Aber auch einfach mal in Ruhe ein Buch lesen gehörte bei mir dazu Kraft zu tanken. Denn es kommen immer wieder Einsätze die einen belasten oder im Nachhinein zum Nachdenken bringen. So war das zum Beispiel bei mir die Kinderreanimation oder auch Einsätze bei denen ich mit dem Patienten als allerletzte gesprochen habe bevor sie verstorben sind.“

- (Sophie, via WhatsApp, 10.10.2024)


„Ich hatte die Vorstellung, dass ich rein Leuten helfe, die schwer erkrankt oder verletzt sind. Doch schnell merkte ich, dass es nicht immer so ist und stellte mir dann die Frage nach dem warum. Warum rufen die Menschen an, weil sie denken, sie kommen schneller in der Notaufnahme dran? Warum rufen die Menschen an, weil sie keinen Termin beim Arzt bekommen? Warum rufen die Menschen an, obwohl es sich rein um einen Schnupfen handelt?“(Sophie, via WhatsApp, 02.11.2024)


Wie kann so ein Beruf im Gesundheitswesen also attraktiv sein oder werden?

Was also tun…


Wie wäre es, wenn Teilzeit und feste Arbeitszeiten, trotz Schichtsystem in den Tarifverträgen festgeschrieben würden?

Wie wäre es mit Mentoring-Programmen? BerufsrückkehrerInnen können sich so besser orientieren und verpasste Änderungen, im sich stetig wandelnden Gesundheitswesen, schneller aneignen.

Ausreichendes Personal kann zu ausgeglicheneren Schichtsystemen und besserer Planung führen. Dafür muss der Beruf aber attraktiver werden.

Kann z.B. ein 5-Schichtsystem, wie Dr. Andreas Hoff in seinem Artikel Ein flexibles 5-Schichtsystem gegen Personalmangel erklärt, die Lösung sein? Nach Dr. A. Hoff ist das 5-Schichtsystem für den 24/7 Dienst speziell für Betriebe geeignet. Es bietet kürzere Schichten, vorwärtsroutierendes System und wesentlich mehr Spielraum, um auf individuelle Bedürfnisse von Mitarbeitern einzugehen; insbesondere bei schwerer (körperlicher, stressiger) Arbeit funktioniere das 5-Schicht-System entlastend. Das angesprochene System hilft gegen Personalmangel und fordert ironischerweise viel Personal.


Womit wir wieder am Anfang der Diskussion sind: Das Schichtsystem, egal wie ausgestaltet, funktioniert nur, wenn ausreichend Personal vorhanden ist.


Somit bleibt die zentrale Frage: Wenn nicht jeder so eine tiefe Überzeugung hat, wie Dr. med. Carola Holzner, Luis Teichmann oder Sophie. Was bringt oder hält Mitarbeiter ins Gesundheitswesen?


Sprechen wir speziell über weibliche Fachkräfte im Gesundheitswesen so kann ich am Ende der Diskussion keine Lösung bieten. Ich kann nur sagen: Individuelle Bedürfnisse müssen besser abgedeckt werden, um speziell weibliche Fachkräfte halten zu können, denn sie stemmen das Gesundheitswesen maßgeblich. Eine zukünftige Vision bietet das Beispiel des Uniklinikums in Cottbus.


Einige Frauen mehr in Führungspositionen im Gesundheitswesen könnten dabei wirklich hilfreich sein, um die Bedürfnisse am Arbeitsplatz des Großteils der MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen zu verstehen und endlich flächendeckend anzugehen. Darauf zu warten bis sich irgendwelche Betriebsräte Land-übergreifend einheitlich zusammengefunden haben, passiert in nächster Zeit nicht.


Eure Angelina



Anmerkungen:

*Holzner, Carola. Eine für alle: Als Notärztin zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. 2. Aufl. Frankfurt am Main: s.Fischer Verlage, 2021, S. 26.

**IAB-Kurzbericht: aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2/24, online: https://doku.iab.de/kurzber/2024/kb2024-02.pdf, zuletzt abgerufen am 02.11.2024,S.1.

***Hochegger, Stefanie. 2018. Schichtarbeit in den Gesundheitsberufen: Arbeitsbelastung und präventive Maßnahmen im Fokus. Masterarbeit, Fachhochschule Burgenland, Department Gesundheit. Betreut von Dr. MMag. Ute Seper. Pinkafeld: Fachhochschule Burgenland, S. 46ff.

****Holzner, Carola. Eine für alle: Als Notärztin zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. 2. Aufl. Frankfurt am Main: s.Fischer Verlage, 2021, S. 27.

*****zuletzt abgerufen am 31.10.2024. Eventuelle Änderungen der Tarifverträge möglich.

******Teichmann, Luis. Einsatz am Limit: Was im Rettungsdienst schiefläuft - und warum uns das alle angeht. 1. Aufl. Stuttgart: Edition Michael Fischer, 2022, ebook, S. 60.

7* Holzner, Carola. Eine für alle: Als Notärztin zwischen Hoffnung und Wirklichkeit. 2. Aufl. Frankfurt am Main: s.Fischer Verlage, 2021, S. 221.

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